Erhältlich als Band 17 der Reihe Glanzlichter der Buchkunst
Mit dem „Goldenen Buch von Pfäfers“ verwahrt das Stiftsarchiv in St. Gallen seit 1838 ein in mehrfacher Hinsicht äußerst bemerkenswertes Dokument mittelalterlicher Kunst- und Kulturgeschichte.
In ihrer vorliegenden Form verbindet die Handschrift drei unterschiedliche Teile:
Teil 1 (fol. Iv–28v) enthält ein Evangelistar mit späteren Eintragungen von Urbaren (aus dem frühen 14. Jh.). Der Buchschmuck umfasst vier ganzseitige Evangelistendarstellungen und zahlreiche Goldinitialen. Entstehungszeit: letztes Viertel des 11. Jh.s. Dem engeren Umkreis der Reichenauer Buchmalerei zuzuweisen.
Teil 2 (fol. 29r–40v) enthält eine Liste der Äbte von Pfäfers, Besitzaufzeichnungen und Rechtstexte. Durchgehend kolorierte Federzeichnungen. Entstehungszeit: um 1400, Pfäfers.
Teil 3 (fol. 41r–52v) enthält die deutsche Übersetzung der im Evangelistarteil nachgetragenen lateinischen Offnungen und Rechtstexte. Entstehungszeit: um 1450, Pfäfers.
Die Bedeutung und wirtschaftliche Stärke der Abtei Pfäfers, die seit 740 zu einem geistlichen Zentrum von enormer Ausstrahlung herangewachsen war, werden in der erlesenen Ausstattung des Evangelistars deutlich.
Vier ganzseitige, wie Tafelbilder gerahmte, mit kostbarem marmorierten Purpurgrund unterlegte Darstellungen der Evangelisten markieren den Beginn der einzelnen Evangelien. Formal und stilistisch stehen diese Miniaturen mit ihren kulissenartig verwendeten Architekturen, der stilisierten Pflanzenornamentik der aufwendigen Rahmung sowie dem Kopftypus und der Physiognomie der Figuren noch ganz in der Tradition der berühmten Schule des Reichenauer Klosters.
Gliedernde und schmückende Funktion vereinen zudem die sorgfältig ausgeführten Initialen zu den 31 ausgewählten, als Lesungen im Gottesdienst verwendeten Evangelientexten. Farbige Hintergründe und Konturen erhöhen die Leuchtkraft der goldenen, vegetabil überwucherten Buchstabenschäfte.
Eine typengeschichtliche Rarität stellt die zweispaltige Anlage des Textes dar. Sie findet sich in keinem anderen der bisher bekannten ottonisch-salischen Evangelistare. Das dominierende formale Gestaltungselement des zweiten Abschnittes stellen die Doppelarkaden dar, in deren Bogenöffnungen der Text eingeschrieben ist. Über ihnen erscheinen die historischen Figuren hoher geistlicher Würdenträger. An diesen kolorierten Federzeichnungen lassen sich deutlich Merkmale des Internationalen Weichen Stils ablesen, womit der Liber Aureus zu einem der ganz seltenen Zeugnisse dieses Stils in der Buchkunst zählt.
Der Kunsthistoriker wird am Liber Aureus vor allem die Präsenz zweier unterschiedlicher Stilepochen – des ottonisch-salischen und des Internationalen Weichen Stils – schätzen, der Liturgiewissenschaftler wird die mit Johannes, Lukas, Markus und Matthäus in seltener Abfolge gereihten Evangelientexte hervorheben, Historiker und Rechtshistoriker werden die aufschlussreichen Eintragungen zur Organisation und Verwaltung sowie über Besitz- und Rechtsverhältnisse der Abtei Pfäfers würdigen.
Die Bedeutung des Goldenen Buches geht jedoch über solche Einzelbetrachtungen weit hinaus. In der Verbindung der unterschiedlichen Texte, die ihre geistigen und materiellen Lebensgrundlagen betreffen, umspannt der Codex gleichsam die Existenz der Mönche von Pfäfers.
Mit dem Liber Viventium bildet der Liber Aureus ein Corpus, das zu den bedeutendsten Memorialbüchern des Mittelalters gehört. Seinen Namen verdankt das „Goldene Buch“ zum einen dem sehr aufwendigen Goldschmuck der Miniaturen und Initialen, zum anderen aber auch den vergoldeten Silberbeschlägen seines prunkvollen Renaissance-Einbandes: Die um 1590 gearbeiteten, auf rotem Samt liegenden, fein ziselierten Reliefs belegen die große religiöse und politische Bedeutung, die der Abtei Pfäfers noch in dieser Zeit zukam.