Otfried von Weißenburg, ein Schüler des Hrabanus Maurus aus Fulda, der als Magister der Klosterschule in Weißenburg tätig war und dieses Evangelienbuch‚ geformt nach den Perikopen des Kirchenjahres ... nach langer Arbeit zwischen 863 und 871 abgeschlossen haben dürfte, geht hier in vorliegender Handschrift gleichsam mit seiner Person ins Faksimile. Diese Wiener Handschrift ist nämlich unter den anderen Otfried-Handschriften diejenige, die der Magister selbst gebraucht und selbst korrigiert hat.
Durch die hier angebrachten Korrekturen "erleben wir das Werden des endgültigen Textes". Hier haben wir es mit dem mutigen Versuch zu tun, in einer fünfteiligen Bearbeitung der vier Evangelien in der heimischen ‚fränkischen‘ Sprache die für Otfried noch als agrestis lingua (‚wildwüchsige Sprache‘) galt, den Leser in die Welt der Frohbotschaft einzuführen.
Zugleich finden wir in dieser Handschrift auch eine Anweisung zum Vortrag des Textes. So kommt es, dass der Leser sich auch dem Gang der fränkischen Lautfolgen und ihrer Sprachmelodie anpassen muss.
Beachtenswert an dieser Handschrift sind auch die Illustrationen, umfassend die farbige Zeichnung auf der Eingangsseite, die in Form eines Labyrinths zeigen will, wie schwierig, an Verirrungen reich der ‚Weg zum Himmelreich‘ ist, den Einzug Christi in Jerusalem, das Abendmahl wie den Crucifixus, bei dem wie bei Maria und Johannes die Hände groß und mit überlangen Fingern, einem bevorzugten Ausdrucksmittel frühmittelalterlicher Malerei, gezeigt werden.
Hans Butzmann, der Verfasser des Kommentars zur Faksimile-Ausgabe, hat sich bemüht, diesen Crucifixus stilistisch durch Vergleiche näher zu untersuchen. Den Abschluss des Kommentars bildet das Kapitel über die Geschichte der Handschrift.