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Der Landgrafenpsalter

Hildesheim, 1211-1213
Bibliografische Angaben
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Seit Beginn des 19. Jh.s zählt die Stuttgarter Landesbibliothek (die vormalige Handbibliothek des württembergischen Königs Friedrich) eines der schönsten Werke der frühgotischen Buchmalerei zu ihrem Besitz – den Landgrafenpsalter. Der Name dieser Handschrift steht in engster Beziehung zu ihrem Auftraggeber. Landgraf Hermann I. von Thüringen und Hessen wird nicht nur in der Litanei und den Fürbitten genannt. Sein Bildnis und jenes seiner zweiten Gemahlin Sophie, aus dem Geschlecht der Wittelsbacher, findet sich auch an prominenter Stelle innerhalb der Fürstengalerie der Litanei.

Hermann von Thüringen (reg. 1190–1217) galt als rücksichtsloser Politiker, der als erster deutscher Fürst eine gewisse Autonomie der landesfürstlichen Gewalt gegenüber dem Reichsoberhaupt durchzusetzen versuchte. Zugleich aber war er ein großherziger Förderer der Künste und Wissenschaften, ein Mann von feiner Bildung, der in Eisenach einen der kunstfreudigsten Höfe der damaligen Zeit unterhielt. Von der Bedeutung dieses Fürsten zeugt auch die Ausstattung seines Psalters, der sowohl in künstlerischer wie auch in technischer Hinsicht als Meisterwerk bezeichnet werden kann.

Anlage und Gliederung des Textes entsprechen dem für Psalterhandschriften üblichen Schema. Um das Hauptstück – ein Psalterium Gallicanum – gruppieren sich Kalendarium, Cantica, Allerheiligenlitanei und Totenofficium. Um die Handhabung des Gebetbuches (bei dem der Text nicht fortlaufend durchgelesen wird, sondern einzelne Passagen nach Bedarf rasch aufgeschlagen werden) zu erleichtern, bedurfte es einer deutlichen Gliederung des Textes. An diesen Zäsurstellen bot sich dem Illuminator reichlich Gelegenheit zur Anbringung seines künstlerischen Schmucks.

Praktisch alle Anfangsbuchstaben sind als goldene Majuskeln abgesetzt, die durch blaue, blattwerkartige Federzeichnungen noch bereichert werden. Einige Psalmen sind darüber hinaus noch durch kunstvoll verschlungene Initialen hervorgehoben, die bis halbseitige Größe erreichen können. Sie alle stehen auf Goldgrund, der mit Rot (mit Zinnober gemischtem Minium) unterlegt ist. Ihre Buchstabenkörper bauen sich aus miteinander verflochtenen, verknoteten und zu Spiralen eingedrehten Blättern auf, deren Enden in Tier- und Menschenfiguren auslaufen. Während die Bänder formal noch der Fläche verhaftet bleiben, enthalten das sich aufwölbende Blattwerk und die anthropo- und zoomorphen Wesen bereits deutliche plastische Werte.

Neben diesem überaus variantenreichen Initialschmuck – keine Initiale gleicht der anderen, jede Form scheint neu erfunden – sind es vor allem die insgesamt acht ganzseitigen Minaturen, die dem Landgrafenpsalter den Eindruck von Pracht und Kostbarkeit verleihen. Die jeweils auf den Versoseiten platzierten, größere Textabschnitte markierenden, goldgrundigen Bilder stellen uns Szenen aus dem Leben Christi in chronologischer Abfolge vor Augen. Von der Taufe im Jordan über Kreuzigung, Höllen- und Himmelfahrt, Pfingsten, das Jüngste Gericht und eine Darstellung der Dreieinigkeit spannt sich der Bogen der Bildthemen bis hin zu einer Paradiesesszene. Der allgemeinen Zeitströmung mit ihrer starken Öffnung gegenüber der östlichen Kunst entsprechend, sind es vor allem byzantinische Gestaltungsprinzipien, die dem Miniator in stilistischer und ikonographischer Hinsicht als Vorbilder dienten. Wie weit diese vorgeprägten Typen durch die Verknüpfung mit eigenen Traditionen jedoch auch umgedeutet werden konnten, zeigt exemplarisch die Kreuzigungsminiatur. Hier wird der im Abendland beheimatete Topos der Kreuzigung als symbolisches Andachtsbild (erkennbar an der Anwesenheit von Ecclesia und Synagoge) mit einem byzantinischen Christustypus verbunden.

Östliche Stilmerkmale finden sich auch an den Figuren des prächtig ausgestatteten Kalendariums, das dem Psalterium vorangestellt ist. Die durch eine architektonische Gliederung in zwei vertikale Abschnitte geteilten Monatsseiten erweitern den eigentlichen Kalender in der linken Spalte (mit Wochentagsbuchstaben, Bezeichnungen nach dem römischen Kalender und Tagesheiligen) rechts durch beinahe seitengroße Darstellungen der Monatsapostel. Über diesen stark an plastischen Vorbildern orientierten männlichen Figuren geben lebendige Genrebilder aus dem bäuerlichen Milieu eine zusätzliche Kennzeichnung des jeweiligen Monats.

Ähnlich gerahmt wie das Kalendarium präsentieren sich jene Seiten, die der Litanei gewidmet sind. In die nach oben ausschwingenden Bogenfelder über dem zweispaltig geschriebenen Text sind je zwei Brustbilder eingemalt. Unmittelbar nach Maria und Johannes sowie weiblichen und männlichen Heiligen finden wir hier „Sophia und Herman Lantgravius Turingie“, die die Bildnisse der „irdischen“ Paare anführen. Ihnen folgen zwei Erzbischöfe und Verwandte des Landgrafenhauses – die Königspaare von Ungarn (die Eltern von Hermann und Sophias Schwiegertochter Elisabeth) und Böhmen. Auch wenn diese Fürstenbilder noch nicht als Porträts anzusprechen sind, zeigt sich doch an Details bereits der zaghafte Versuch einer Individualisierung der dargestellten Persönlichkeit.
Es sind die außerordentlich sorgfältige Zeichnung der Figuren, die feine Modellierung der Körper mittels farbiger Abstufungen, das dekorative Farbenspiel und die überreiche Verwendung von Gold, die den Bild- und Initialschmuck des Landgrafenpsalters so wertvoll erscheinen lassen.

Über die zeitliche Einordung der wahrscheinlich in einem thüringisch-sächsischen Skriptorium geschaffenen Handschrift vermögen die Fürstenbilder Auskunft zu geben. Im Jahre 1211 erfolgte die Verlobung der vierjährigen Elisabeth von Ungarn mit dem Landgrafensohn Ludwig IV. 1213 wurde Elisabeths Mutter, Königin Gertrud, deren Bildnis in der Litanei noch enthalten ist, von Edelleuten ermordet. Zwischen diesen beiden Ereignissen dürfte der Landgrafenpsalter entstanden sein. Nach dem Tod ihres Gatten im Jahr 1227 nahm die hl. Elisabeth den Codex von der Wartburg mit nach Marburg. Der weitere Weg dieses Meisterwerkes der staufischen Hofkunst über das Kloster Weingarten (1628) nach Stuttgart (1806/16) ist bis heute weitgehend ungeklärt.