Von den zahlreichen in kroatisch-kirchenslawischer Sprache verfassten Messbüchern aus dem 14. und 15. Jh. kommt dem Missale Hervoiae eine hervorragende Bedeutung zu. Denn es stellt den am schönsten und reichsten illuminierten Codex dieser Gruppe dar, dessen kostbare Miniaturen durch die hohe künstlerische Qualität überzeugen. Der Text ist in kirchenslawischer Sprache mit den kroatischen eckigen glagolitischen Buchstaben geschrieben, einer Schrift, die sich bis heute in liturgischen Büchern im kroatischen Küstengebiet der Nordadria erhalten hat.
Die prachtvolle Handschrift wurde für eine hochgestellte Persönlichkeit angefertigt: für Hrvoje Vukčić Hrvatinić, Herzog von Split und Statthalter des kroatisch-ungarischen Königs Ladislaus in Kroatien, Dalmatien und Bosnien. Die Kostbarkeit dieser Handschrift war sicher ein Grund für ihr stürmisches Schicksal. Denn sie wurde von den Türken erbeutet und gelangte so in die Bibliothek des Sultans in Konstantinopel. Lange Zeit galt sie als verschollen, bis sie im Jahre 1963 im Topkapı Sarayı Museum schließlich wiederentdeckt wurde.
Insgesamt sind es 96 farbenprächtige Miniaturen sowie ca. 380 ornamentale große Initialen neben zahlreichen kleineren Initialen, die diese Handschrift zu einem einzigartigen Kunstwerk machen. Somit ist das Missale Hervoiae nicht nur für die philologischen, historischen und liturgischen Wissenschaften von größter Bedeutung, sondern auch für die Kunst- und Kulturgeschichte.
Wie aus einem Vermerk hervorgeht, wurde das Missale Hervoiae in Split von einem dort ansässigen Kalligraphen namens Butko geschrieben. Er verwendete die eckige glagolitische Schrift, deren Erfindung den beiden Mönchen und Slawenaposteln Kyrillos und Methodios aus Thessaloniki zugeschrieben wird. Dieser Schrift liegen griechische Minuskeln mit Entlehnungen aus orientalischen Alphabeten zugrunde, und auch heute noch wird sie im Gottesdienst nach katholischem Ritus verwendet.
Das Missale Hervoiae gehört zu den bedeutendsten Texten des kroatisch-glagolitischen Schrifttums, das über Jahrhunderte verboten war und erst 1248 von Papst Innozenz IV. wieder genehmigt wurde. Inhaltlich stellt es ein sog. Vollmissale dar, eine im 13. Jh. von den Franziskanern vereinheitlichte Form, die allen kroatisch-glagolitischen Handschriften als Grundlage diente.
In den 96 Miniaturen werden sowohl alttestamentliche als auch neutestamentliche Szenen illustriert, neben Propheten, Evangelisten und Aposteln werden einzelne Heilige mit deren Attributen gezeigt, und es werden Monatsallegorien mit charakteristischen Szenen aus dem Leben dargestellt.
Die Miniaturen enthalten neben westlichen Elementen auch Einzelheiten orientalischer und byzantinischer Herkunft. Dies weist den Codex nach Süditalien in den künstlerischen Umkreis des Königshauses der Anjou, zu dessen Herrschaftsbereich das Gebiet von Dalmatien damals gehörte und zu dem der Herzog Hrvoje gute Beziehungen unterhielt. Denn gerade aus dem süditalienischen Gebiet, wo byzantinische Mönche und östliche Christen im 8. und 9. Jh. vor Verfolgungen Schutz gefunden hatten, ist die Infiltration der byzantinisch-orientalischen Kompositionen in die westliche Ikonographie vor sich gegangen, was auch in der Kunst an der dalmatinischen Küste zum Ausdruck gekommen ist.
Auch die Initialen ziehen aufgrund ihrer phantasievollen Verzierungen den Blick des Betrachters auf sich. Die Bänder, Blätter und Blüten, aus denen die Initialen geformt sind, sind mit Spangen, Knoten, linearen Motiven, zoomorphen Schmuckelementen wie Vögelköpfen, Drachenköpfen und Schlangen und manchmal sogar mit anthropomorphen Elementen verziert.
In der Verbindung östlicher und westlicher Prinzipien für Bildaufbau und inhaltliche Aussage liegt der besondere Wert des Missale Hervoiae, das als Prachtwerk einen gesicherten Platz in der regionalen und überregionalen Kunstgeschichte einnimmt.
Der 550 Seiten umfassende wissenschaftliche Kommentarband enthält die vollständige Transkription des Missale-Textes in lateinischer Schrift, die von Marija Pantelić durchgeführt wurde, und einen kritischen Apparat der abweichenden Lesarten dreier weiterer vollständiger Missale-Texte. Daran schließen mehrere Abhandlungen verschiedener Autoren über die geschichtlich-liturgische Struktur, die Illuminationen, die Sprache und Schrift des Missale Hervoie sowie eine Beschreibung der Kriterien der Transkription und ein wertvolles Perikopenverzeichnis. Alle Beiträge sind in deutscher und englischer Sprache abgedruckt.